1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Bücher gleichen Händen darin, dass sie berühren können. Und jedenfalls Fingerspitzengefühl wird gebraucht.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Es will nicht einseitig die Heilkraft der Berührung predigen oder im Gegenteil das Leid durch gewalttätige Berührung beklagen, sondern beide Perspektiven im Blick auf uns spätmoderne Menschen verschränken: weil wir das, was wir zum Wohlsein brauchen, doch zugleich als potentielle Verletzung fürchten, nämlich Berührung. Heute aber können wir endlich freiwillig nahbar und berührbar sein – weil die Moderne erkämpft hat, dass Gewalt geahndet wird.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?
Der verletzbare im Unterschied zum perfekt optimierten Menschen ist derjenige, der im Zentrum des Christentums steht. In seiner Verletzbarkeit ist der Mensch menschlich – diesen gilt es zu respektieren, ob im hohen Alter oder als kleines Kind. Ihn gilt es, kirchlich und theologisch ernst zu nehmen.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?
Mit dem indischen Psychoanalytiker Sudhir Kakar – um die Körpergeschichte des Unversehrtheitsgedankens im Kulturvergleich zu betrachten.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Körperliche Unversehrtheit kann heute endlich bedeuten, freiwillig nahbar zu sein.
6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?
1. A. A. Milne: Pu der Bär
2. Montaigne Essais
3. Die Bibel
4. Goethe: Die Wahlverwandtschaften
5. Freud: Traumdeutung
7. Die siebte Frage stammt von der Kölner Theologin Saskia Wendel: Worin sehen Sie zum einen das theologische Potenzial der Reflexion von Vulnerabilität und Berührbarkeit nicht nur für eine Anthropologie, sondern auch für das Gottesverständnis, und dies vor dem Hintergrund des christlichen Kernmotivs der besonderen Verkörperung Gottes in einem Menschen, der sich verletzbar und berührbar gemacht und andere "heilsam" berührt hat? Und worin sehen Sie umgekehrt die politisch-gesellschaftliche Bedeutung theologischer Reflexionen über Verkörperung, Verletzbarkeit und Berührbarkeit, oder anders formuliert: den Beitrag einer politischen Theologie des Körpers?
In der Frage steckt die Antwort. In Christus verkörpert sich Gott als verletzbarer Mensch. Christus seinerseits verkörpert die heilende Berührung. Die theologische Reflexion hätte die Aufgabe, diesen Kern des Christentums in der politischen Debatte der Gegenwart vor Augen zu führen: das christliche Gottesverständnis transzendiert den Sozialstaat, es zeigt aber zugleich an, wie eine Gesellschaft sich für ein Menschenbild öffnen kann, das durch die Verletzbarkeit bestimmt ist und aus dieser Perspektive um die menschliche Würde besorgt ist.