"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
41. Folge: 7 Fragen an Vittorio Hösle
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die Fragen der 41. Folge beantwortet der Philosophieprofessor Vittorio Hösle. Gerade ist sein neues Buch erschienen: Kritik der verstehenden Vernunft – Eine Grundlegung der Geisteswissenschaften.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

"Die Welt" braucht keine Bücher – aber wer sich für die Frage interessiert, was gültiges Verstehen von Missverstehen unterscheidet, wird von meinem Buch profitieren.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Im konstruktiven Teil liefert es eine umfassende Theorie der Formen des Verstehens und erörtert die geltungstheoretische Frage, wie es möglich ist, Fremdpsychisches zu erfassen. Im destruktiven Teil bietet es eine Kritik defizienter hermeneutischer Theorien, im dritten eine Geschichte der Hermeneutik.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Insofern die Theologie in vielen ihrer Disziplinen hermeneutisch vorgeht, wird sie von dieser Grundlegung einer Hermeneutik Gewinn ziehen können; und insofern sie an einer metaphysischen Theorie interessiert ist, wird sie einer neuen Form des Idealismus begegnen.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit allen Autoren, die ich in der abschliessenden Geschichte der Hermeneutik behandle – doch sind sie leider alle schon tot. Gadamers und Davidsons Reaktion hätte ich besonders gerne erlebt.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Die Welt ist nowendig so strukturiert, dass in ihr Lebewesen auftreten, die ihrem mentalen Leben physischen Ausdruck verleihen und dank dessen zum mentalen Leben der anderen vorzudringen vermögen.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Das hängt ganz von der Länge des Aufenthaltes und der Aussicht auf Rückkehr in eine reichere Bibliothek ab. Da ich neugierig bin, nähme ich wahrscheinlich nicht die Klassiker mit, die ich am meisten liebe und deswegen schon gut kenne, sondern Bücher, die noch auf meiner Leseliste stehen.

7. Die siebte Frage stammt vom Religionsphilosophen und Theologen Ingolf U. Dalferth, dessen neuestes Buch den Titel Die Kunst des Verstehens – Grundzüge einer Hermeneutik der Kommunikation durch Texte trägt: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Verstehen und Selbstverstehen? Gibt es eine spezifische Form hermeneutischer Kritik? Und welche Rolle spielt dabei die (hermeneutische) Urteilskraft?

Nach meiner Terminologie ist "Selbstverstehen" ein abgeleiteter Fall, denn im Prinzip habe ich zu mir selber Zugang durch Introspektion. Allerdings mag ich dabei bestimmte eigene Akte verdrängen oder nicht adäquat kategorisieren; und das Verstehen eines anderen kann derartige Blockaden bei der Introspektion aufheben. – Der Ausdruck "hermeneutische Kritik" scheint mir drei verschiedene Bedeutungen zu haben. Erstens geht es um eine kritische Analyse des Ursprungs legitimer Verstehensakte im allgemeinen; darum geht es in meinem Buche. Zweitens kann man die Kritik einer konkreten Interpretation im Auge haben. Und drittens mag "hermeneutische Kritik" eine grundsätzliche Kritik etwa an philosophischen Theorien sein, die auf die Notwendigkeit einer hermeneutischen Anstrengung auch und gerade bei der systematischen Philosophie hinweist. – Die Anwendung von Prinzipien, welcher Art auch immer, erfordert stets Urteilskraft, die selbst nicht durch explizite Prinzipien geleitet sein kann.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)