"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
36. Folge: 7 Fragen an Tobias Renner
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der 36. Folge werden die sieben Fragen von Tobias Renner beantwortet. Renner promovierte 2016 bei Stephan Goertz an der Universität Mainz, seine Dissertation erschien im letzten Jahr unter dem Titel "Postsäkulare Gesellschaft und Religion – Zum Spätwerk von Jürgen Habermas" als Band 183 der "Freiburger theologischen Studien".

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Das ist bei einem Fachbuch über ein so spezielles Thema keine einfache Frage. In meinem Buch beleuchte ich die Texte von Jürgen Habermas, die er nach 2001 zum Thema Religion veröffentlicht hat. Das Gesprächsangebot, das aus dieser Zusammenschau entsteht, gilt es von Seiten der Theologie anzunehmen. Von daher braucht die Welt mein Buch vielleicht nicht, Theologinnen und Theologen ist es aber zur Lektüre empfohlen.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Nach dem Gespräch zwischen Josef Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas im Jahr 2004 wurde der Philosoph immer wieder als Gewährsmann für die Bedeutung religiöser Positionierungen in gesellschaftlichen Debatten zitiert. Dabei wurde "sahnestückchenartig" immer nur ein Teil seiner Standpunkte rezipiert. Meine Arbeit macht – durch die umfassende Rekonstruktion seiner Positionierung – deutlich, dass Habermas auch eine Reihe von Forderungen an Religionen im Kontext der Moderne formuliert. Die jüngeren Texte werden dabei in eine Entwicklungslinie mit früheren Werken gestellt. So möchte das Buch den von Habermas angebotenen Gesprächsfaden aufnehmen, um so einen Beitrag zur Positionierung von religiösem Leben in der Moderne zu leisten.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Das Verhältnis von Religion und Moderne ist eine der drängendsten Fragen der heutigen Theologie und des kirchlichen Lebens. Schließen sich an sie doch eine Vielzahl von Fragen an, etwa nach dem Selbstverständnis einer theologischen Ethik oder nach einem angemessenen Verständnis der Menschenrechte. Hier ist Jürgen Habermas mit seinen umfangreichen und weit verzweigten Arbeiten ein Denker, der viele Impulse liefern kann und mit dem sich eine Auseinandersetzung zum Wohle einer Theologie lohnt, die nicht im Elfenbeinturm betrieben wird.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit Jürgen Habermas und Denis Scheck ... obwohl ich fürchte, dass sich die belletristischen Qualitäten meiner Dissertation in Grenzen halten.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Zivilgesellschaftliche Öffentlichkeiten sind bedeutende Orte kirchlichen Handelns, an denen sich christliches Denken – reflexions- und lernbereit – in aktuelle Debatten einbringen kann.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Die Bibel
Immanuel Kant, Kritik der Praktischen Vernunft (auf der einsamen Insel dürfte genug Zeit für eine intensive Lektüre sein)
Navid Kermani, Ungläubiges Staunen
Amos Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (wann bekommt er endlich den Literaturnobelpreis?)
Siri Hustvedt, Was ich liebte

7. Die siebte Frage stammt vom Fundamentaltheologen Edmund Arens: In Ihrem Buch ist verschiedentlich von "religiöser Praxis", "ritueller Praxis", "richtiger Praxis" und, bei Habermas unvermeidlich, immer wieder vom "kommunikativen Handeln" die Rede. Kann religiöse Praxis als kommunikatives Handeln im Sinne von Habermas verstanden werden, oder trifft dies allenfalls auf ethische Handlungsformen, aber nicht oder nur eingeschränkt auf rituelle Vollzüge zu? Ist nicht die "Kreativität des Handelns", die Hans Joas 1992 thematisiert, bereits 1976 in Helmut Peukerts "Wissenschaftstheorie" (3. Aufl. 2009) in Auseinandersetzung mit Habermas aufgezeigt worden?

Mit seiner Theorie kommunikativen Handelns entwirft Habermas eine Handlungstheorie, die kommunikative Rationalität, Verständigung und Handlungskoordinierung in ihren Mittelpunkt stellt. Religiöse Praxis versteht er nicht als kommunikatives Handeln. Er vertritt vielmehr die These, dass der moralisch-normative Kern des Religiösen in der Moderne im Zuge von Rationalisierungsprozessen in die säkulare Sprache überführt wird. Unter diesem Blickwinkel ist die rituelle Praxis gewissermaßen eine Art Vorstufe des Kommunikativen Handelns. In späteren Aufsätzen verändert Habermas seiner Positionierung zur Religion. In religiösen Überlieferungen und ritueller Praxis vermutet er wichtige Quellen für Gründe bzw. Positionen, die religiöse Bürger in gesellschaftliche Diskurse einbringen sollten. Schließlich könnte die Gesellschaft als ganze davon profitieren, da Nichtgläubige keinen inneren Zugang zu diesen Quellen haben oder diese nicht verstehen.

Joas und Peukert arbeiten zwar beide die Grenzen des habermasschen Verständnisses von kommunikativem Handeln heraus. Dennoch wäre ich zurückhaltend die beiden Arbeiten zu nah aneinander zu rücken, da sich die Ansätze und Perspektiven unterscheiden. Joas ist es daran gelegen, die habermassche Konzentration auf Sprache und Rationalität zu weiten. Hierzu stützt er sich insbesondere auf den amerikanischen Pragmatismus. In seinem Buch "Kreativität des Handelns" entwickelt er eine umfassendere Handlungstheorie, welche die Kreativität als grundlegendes Moment menschlichen Handelns stärker berücksichtigt. Peukert hat ein anderes Interesse, wenn er die Grenzen der Theorie kommunikativen Handelns vor dem Hintergrund seines Konzepts der anamnetischen Solidarität – im Sinne eines Eingedenkens in vergangene Generationen – aufzeigt. Damit erweitert er schließlich die Kommunikationsgemeinschaft durch eine theologische Perspektive, indem er eine Solidarität aufzeigt, die bereits verstorbene miteinbezieht und damit eine Hoffnung als denkmöglich offenhält.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)