"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
32. Folge: 7 Fragen an René Dausner
anlässlich des Erscheinens seines Buches

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
In der sechsten Folge des Jahres 2017 werden die sieben Fragen von PD Dr. René Dausner beantwortet. Seit dem Sommersemester 2017 ist er Lehrstuhlvertreter der Professur für Systematische Theologie am Institut für katholische Theologie der TU Dresden. Vor kurzem ist seine von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommene Habilitationsschrift erschienen: Christologie in messianischer Perspektive. Zur Bedeutung Jesu im Diskurs mit Emmanuel Levinas und Giorgio Agamben. Die Publikation der Arbeit wurde ermöglicht durch Finanzmittel der DFG.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil das Buch gut ist – um nicht zu sagen: von den besten eines der wichtigsten. Die Habilitationsschrift zeigt, welche Bedeutung den Grundsatzfragen der Theologie zu Beginn des 21. Jahrhunderts zukommt. Konkret geht es um die Frage, wie wir ein tragfähiges und gedanklich plausibles Verständnis der Person Jesu von Nazareth gewinnen können - und zwar plausibel für uns heute, mehr als 2000 Jahre nach seinem Tod. Als Dogmatiker und Fundamentaltheologe habe ich mich darum mit zwei der international renommiertesten, aber in Deutschland leider noch immer zu wenig beachteten Philosophen befasst: Mit Emmanuel Levinas und Giorgio Agamben. Wer sich auf deren Denken einlässt, muss erkennen, dass mit der Christologie nicht nur das Verhältnis von Religion und Politik zur Debatte steht, sondern auch Ethik, Humanität und die Beziehung zwischen Judentum und Christentum.
Gewidmet habe ich das Buch übrigens meiner Tochter, auch um anzuzeigen, dass Themen verhandelt werden, die ich kommenden Generationen weiterzuvermitteln suche.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Das Buch bietet eine neue Perspektive auf die vielleicht älteste und schwierigste Frage christlicher Theologie: Wer ist Jesus von Nazareth? Bereits der Buchtitel weist diese neue Perspektive explizit als eine "messianische Perspektive" aus. Inwiefern? Die Rede von Jesus Christus geht uns gemeinhin schnell über die Lippen; aber wie schwierig ein Verständnis dessen ist, was der Begriff "Christus" bedeuten kann und soll, wird deutlich, wenn wir diesen soteriologischen Hoheitstitel zurückübersetzen ins Hebräische bzw. ins Aramäische: "Messias". Die dogmatische These ist kühn, dass Jesus von Nazareth, dessen Erforschung in der neueren Exegese unter historischen Gesichtspunkten schon so weit vorangetrieben wurde, Messias sei und Gott-Mensch. Dieser Kühnheit des Glaubens denkerisch nachzuspüren und zur Diskussion zu stellen, ist das Ziel der Studie. Das ist neu, und eine Neuformatierung der Christologie auf dieser Basis steht allererst noch aus.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Wer nähme nicht gern für sich Individualität in Anspruch? Aber was bedeutet Individualität konkret? Das Thema, das ich bearbeite, ist heute aktueller denn je und wird auf Zukunft hin an Relevanz gewinnen. Immer intensiver wird die Frage gestellt, warum wir uns heute noch, mehr als zweitausend Jahre nach Leben und Sterben Jesu mit dieser Person befassen sollen. Wenn wir uns darauf einlassen, die Individualität der historischen Person Jesu radikal ernst zu nehmen, geraten wir in dieselben Problemfelder, die zur Ausprägung christologischer Aussagen geführt haben. Diese heute nachzuvollziehen und für das 21. Jahrhundert neu buchstabieren zu lernen, habe ich mir zur Aufgabe gesetzt. Übrigens ist mit der Frage nach einer glaubwürdigen Interpretation der Person Jesu auch ein zentraler Bereich des jüdisch-christlichen Dialogs sowie des Gesprächs mit dem Islam angesprochen – eine Frage, der ich mich künftig weiterhin und noch intensiver stellen werde.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Mit zwei Personen, die ich beide sehr schätze: Zum einen mit Christoph Theobald, einem der profiliertesten und innovativsten Fundamentaltheologen unserer Zeit, der mein Buch als erster rezensiert hat. Und – zweitens – mit Susannah Heschel, die Jüdische Studien in den USA lehrt und sich intensiv u.a. mit jüdischen Interpretationen Jesu befasst. Susannah, die die Tochter von dem berühmten Rabbiner Abraham Jehoschua Heschel ist, bin ich bei meinem Forschungsaufenthalt in den USA am Boston College vor einem Jahr begegnet. Es wäre mein großes Ziel mit den beiden gemeinsam eine Tagung zur jüdischen, islamischen und christlichen Jesusinterpretation zu veranstalten.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Wenn wir die beinahe unglaubliche Behauptung des Christentums ernst nehmen, dass sich uns in dem Antlitz des Menschen Jesus von Nazareth jener Gott gezeigt hat, der die Welt nicht nur geschaffen, sondern auch erlöst hat, stoßen wir auf Fragen der Offenbarung, der Inkarnation und der Stellvertretung, bei deren Bearbeitung uns die Gegenwartsphilosophie auf die Sprünge helfen kann – mehr als ihr selbst oder auch der Theologie bewusst sein mag.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Die Bibel, die eine ganze Bibliothek ersetzt;
die hinreißenden Metamorphosen des Ovid, die mich seit der Schulzeit und meinem Grundstudium der Klassischen Philologie begleiten;
die philosophischen Meditationen des René Descartes, die mich das Denken lehren;
einen der großen, ausladend-aufwändigen Romane des 20. Jahrhunderts, vermutlich Joseph und seine Brüder, an dem Thomas Mann so lange gearbeitet hat, und schließlich
die – zum Glück bald wieder aufgelegte – deutsche Lyrikanthologie, herausgegeben von Hanspeter Brode mit 300 Gedichten, ein Klassiker wie seinerzeit der "Conrady" oder der "Echtermeyer".

7. Die siebte Frage stammt von Professor Karl-Heinz Menke von der Universität Bonn: Wie erklären Sie im Rahmen Ihrer messianisch perspektivierten Christologie die Einzigkeit und Heilsuniversalität Christi, speziell die Heilsnotwendigkeit des Christusereignisses auch für alle Juden?

Die Fragestellung zielt auf ein Problemfeld, das in jüngster Zeit breit diskutiert worden ist und für das ich an dieser Stelle auf die unter anderem von Ihrem Bonner Kollegen Josef Wohlmuth herausgegebene Quaestio disputata Das Heil der Anderen. Problemfeld 'Judenmission' verweisen möchte. Denn mit diesem umfangreichen Sammelband wird die Komplexität der Fragestellung und der Antwortmöglichkeiten in der erforderlichen Intensität abgebildet. Auch wenn sich meine Studie mit der Frage nicht eigens befasst, will ich doch zumindest die Richtung meiner Antwort skizzieren.
Zunächst ist festzuhalten: Die Frage nach der Einzigkeit Jesu von Nazareth eignet sich nicht zur Absicherung oder zum Aufbau der eigenen Identität, schon gar nicht in einer exklusivistischen Lesart. Denn die Thematisierung von Einzigkeit stellt uns vor ein sprachphilosophisches Problem ersten Ranges, mit dem ich mich in der Tat intensiv befasse: Wie kann ich von Unvergleichlichem sprechen, wenn Sprache doch immer auf Vergleiche, Übersetzungen, Transformationen angewiesen ist und wenn Vergleichen und Übersetzen zugleich bedeutet, das Original im doppelten Sinn zu tradieren: weiterzugeben und zu verraten? "Einzigkeit" und "Universalität" stehen demnach in einer größeren Spannung, als es die vermeintlich simple Frage zuzugeben scheint.
Und noch ein zweites Problem kommt hinzu: Der Schlussteil der Fragestellung betrifft in zentraler Weise das Verhältnis zu Israel, das bereits Paulus in den berühmten Kapiteln 9-11 seines Römerbriefs thematisiert hat. Die angefragte 'Heilsnotwendigkeit des Christusereignisses' einerseits und bleibende Erwählung des Volkes Israel auch ohne Glauben an Jesus Christus andererseits scheinen hier in einen Widerspruch zu geraten. Paulus löst diesen Widerspruch – und das Zweite Vatikanische Konzil ist in Nostra Aetate, Nr. 4, dem Völkerapostel gefolgt – durch eine eschatologische Perspektive. Grund ist die Treue Gottes, die nicht – unter keinen Umständen – zur Disposition steht. "Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt" (Röm 11,29) Dieses Zitat verwendete übrigens die Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum unter Vorsitz von Kurt Kardinal Koch als Titel einer höchst lesenswerten Schrift vom 10. Dezember 2015. In der Traditionslinie dieser großen biblischen Hoffnungs- und Glaubensaussage steht denn auch die von mir skizzierte Christologie in messianischer Perspektive.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)