"7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview
24. Folge: 7 Fragen an Magnus Lerch

Jede Woche erscheint eine Menge neuer für die Theologin und den Theologen interessanter Bücher – es ist schwierig, hier eine Auswahl für die eigene Lektüre zu treffen. Das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche möchte in Zukunft bei der Orientierung auf dem Feld der Neuerscheinungen hilfreich sein und hat deshalb eine neue Rubrik gestartet: "7 Fragen an ..." – Das MFThK-Kurzinterview.
In unregelmäßiger Folge werden bekannte und weniger bekannte Autoren von Neuerscheinungen gebeten, sieben Fragen zu beantworten – die ersten sechs Fragen sind immer gleich, die siebte und letzte ist eine individuelle Frage. Inspiriert ist die neue Rubrik von dem Autoren-Interview auf der Homepage des Transcript-Verlages.
Die erste Folge des Jahres 2015 kommt aus Wien. Als Assistent des Dogmatikers Jan-Heiner Tück arbeitet hier seit vergangenem Jahr der bei Karl-Heinz Menke promovierte Rheinländer Magnus Lerch. Seine Dissertation ist gerade unter dem Titel Selbstmitteilung Gottes. Herausforderungen einer freiheitstheoretischen Offenbarungstheologie in der Reihe ratio fidei erschienen.

1. "Bücher, die die Welt nicht braucht." Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?

Weil es eine Fragestellung bearbeitet, die nichts Geringeres als das Zentrum des christlichen Glaubens betrifft: Wie lässt sich erkennen und denken, dass Gott nicht nur etwas offenbart, sondern sich als er selbst mitteilt - endgültig in der konkreten Geschichte Jesu von Nazaret? Weil es eine Klärung des Verständnisses von Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes versucht - und dies im Rahmen der Freiheitstheorie Thomas Pröppers, sodass auch das Verhältnis von Christentum und Moderne fokussiert wird: Kann Gottes reale Selbstgegenwart in einem endlichen Geschöpf widerspruchsfrei als Freiheitsgeschehen gedacht werden? Weil das Buch damit einen Beitrag leisten will zur aktuellen Debatte um die theologischen Chancen und Grenzen des transzendentalphilosophischen Freiheitsdenkens. Dazu erschließt es erstmals ausführlich die christologischen und trinitätstheologischen Fortschreibungen des Freiheitsmodells durch Georg Essen und Magnus Striet. Es ergibt sich so eine konstruktiv-kritische "Gesamtbilanz" des transzendentalen Freiheitsdenkens in Bezug auf das Zentralthema "Selbstmitteilung Gottes".

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Es klärt, wie Offenbarungsverständnis, Christologie und Trinitätslehre zusammenhängen und speist das Freiheitsmodell in die aktuellen Diskussionen dieser Themenfelder ein. Dabei arbeitet es einerseits die theologischen Leistungen des Freiheitsansatzes heraus. Gerade eine philosophisch vertiefte Reflexion auf die endliche Freiheit, ihre Vollzüge und Fragehorizonte vermag zu zeigen: Christlicher Offenbarungsglaube und modernes Freiheitsdenken müssen sich nicht wider-, sondern können sich gerade entsprechen. Der Inhalt der Offenbarung - Gottes Selbstmitteilung als unbedingt entschiedene Liebe - berührt die innerste und ureigene Sehnsucht menschlicher Freiheit. Er lässt sich erst aufgrund der Unterscheidung (nicht: Trennung) von Schöpfer und Geschöpf, von Philosophie und Theologie, Vernunft und Offenbarung zur Geltung bringen.
Andererseits ergeben sich auch Problemanzeigen in Bezug auf das Freiheitskonzept, so z.B. in der christologisch-trinitätstheologischen Durchdringung des Offenbarungsgeschehens: Wie ist die einmalige (hypostatische) Einheit zwischen Jesu echt menschlichem Willen und dem ewigen Sohn in Kategorien der Freiheit zu verstehen? Hier hat Karl Rahner Denkangebote formuliert, die m.E. für das Freiheitsmodell von Gewinn sein könnten. Ich versuche nach einer problemorientierten Rekonstruktion zu zeigen, wie die Konzepte von Karl Rahner, Thomas Pröpper und Georg Essen innerhalb der Christologie zusammen finden können. Insofern versteht sich meine Arbeit auch als Dialogversuch zwischen transzendentalphilosophischem und transzendentaltheologischem Offenbarungsmodell.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in aktuellen theologischen und kirchlichen Debatten zu?

Die Kategorie "Selbstmitteilung Gottes" wird oft verwendet, seltener aber hinreichend geklärt und bestimmt. Weil sie aber die Brücke zwischen Offenbarungs-, Inkarnations- und Trinitätstheologie herstellt, muss ohne die systematische Einlösung ihrer gnoseologischen und ontologischen Implikationen auch das Fundament christlichen Glaubens im Unklaren bleiben. Wie kann Jesus von Nazaret als wahrer Mensch - und somit auch als menschliche Freiheit - zugleich die reale Selbstgegenwart Gottes sein? Und wie vermag der Mensch dieses Offenbarungs- und Heilsereignis überhaupt zu erkennen, wenn Ernst gemacht wird mit der kantischen Einsicht, dass Selbst- und Gottesbezug nicht ohne Weiteres zusammenfallen?
Meine Arbeit zeigt, welche theologischen Lösungspotenziale ein freiheitstheoretischer Antwortversuch bietet. Dadurch berührt sie zugleich das Diskussionsfeld der Beziehung von Christentum und Moderne - zum einen durch ihr grundsätzliches Bemühen, den christlichen Offenbarungsglauben unter subjekt- und freiheitstheoretischen Vorzeichen anzueignen; zum anderen durch die Klärung von Grundbegriffen wie "Freiheit", "Autonomie", "Subjekt" etc. Die Debatten um die theologische Angemessenheit neuzeitlicher Denkfiguren werden nur voranzubringen sein, wenn expliziert wird, was mit besagten Grundbegriffen im Einzelnen genau gemeint ist und welche hermeneutischen Leistungen sie erfüllen. Außerdem können in einer selbstreflexiven Moderne neuzeitliche Autonomiekonzepte nicht bruchlos und irritationsfrei übernommen werden; es muss die Kontingenz endlicher Freiheitsvollzüge bedacht und dann auch im gesamten Theoriedesign adäquat zur Geltung gebracht werden.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten einmal diskutieren?

Ausgenommen diejenigen Protagonisten der Debatte, mit denen ich es schon diskutiert habe: Kurt Flasch. Und wenn es möglich wäre: Karl Rahner, Wolfhart Pannenberg.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Eine transzendentale Freiheitsreflexion vermag einsichtig zu machen: Der Mensch ist gerade aufgrund seiner autonomen Vernunft gottfähig, Adressat der Selbstmitteilung des trinitarischen Gottes - und deren realsymbolische bzw. sakramentale Gestalt ist Jesus von Nazaret nicht trotz, sondern wegen seiner echt menschlichen Freiheit.

6. Sie dürfen fünf Bücher auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen. Für welche Bücher entscheiden Sie sich?

1) Die Bibel
2) Thomas Mann "Der Zauberberg"
3) Hermann Broch "Die Schlafwandler"
4) Pascal Mercier "Nachtzug nach Lissabon"
5) John Williams "Stoner"

7. Die siebte Frage stammt von Professor Johannes Hoff:
Nach Erik Petersons Kommentar zum 1. Korintherbrief tötet die moderne Deutung der Erscheinung Christi auf Erden als einer Offenbarung "den Nerv des urchristlichen Glaubens an die Wiederkunft Christi". Wie stellen Sie sich zu dieser biblisch fundierten Kritik?

Petersons Kritik impliziert, wenn ich recht sehe, das von ihm vorausgesetzte Bedingungsgefüge: Vom apokalyptischen Sprachgebrauch her kann nur die Wiederkunft des Menschensohnes "Offenbarung" genannt werden. Wenn dieser Begriff in der Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts auch auf die Epiphanie Christi übertragen wird, dann nur aufgrund einer intellektualistischen Engführung: Offenbarung als Erkennen, als Erweiterung des Wissens, insofern der an sich unbekannte Gott (oder eine seiner verborgenen Eigenschaften) nun "enthüllt" wird. Ein ernstzunehmender Einwand, der zudem plausibilisiert werden kann im Blick auf den faktischen Verlauf der neuzeitlichen Theologiegeschichte: Offenbarung wird auch in dem Maße zu einem theologischen Schlüsselbegriff, in dem die Grenzen der philosophischen Vernunft - gerade hinsichtlich der Gotteserkenntnis - akzeptiert werden.
Aus freiheitstheoretischer Perspektive wäre zu sagen, dass Offenbarung - verstanden als Selbstmitteilung Gottes - gerade nicht nur eine gnoseologische Kategorie ist, sondern ein freies Geschehen bezeichnet: Gottes zuvorkommende und versöhnende Liebe ereignet sich durch die menschliche Freiheit Jesu; sie ist das Real-Symbol der Selbstmitteilung Gottes in der Einheit von Leben, Tod und Auferstehung. Der freiheitstheoretische Symbolbegriff impliziert aber die Einheit und (!) Differenz von sich offenbarendem Selbst und begrenztem Selbstausdruck, von freiem Entschluss zur unbedingten Liebe und seiner vorläufigen Realisierung, oder kurz (mit einer Unterscheidung von Thomas Pröpper): von Endgültigkeit und Vollendung der Selbstmitteilung Gottes. Aus diesem Symbolverständnis folgt weder (gnoseologisch) unmittelbare Evidenz noch (soteriologisch) triumphalistische Heilspräsenz. M.a.W. die hermeneutische Erschließung von Gottes geschichtlicher Selbstmitteilung in Freiheitskategorien überspielt nicht die Differenz von "Schon" und "Noch nicht", sondern lässt sie erst einsichtig werden.


Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK)